Beurteilung psychischer Belastungen: Welcher Fragebogen passt?

Was war die Ausgangslage?

Mitten in der Corona-Hochphase, als der Remote-shift im vollen Gange war, entschloss sich eine junge, multinationale Organisation, eine Mitarbeiter:innen-Befragung zu psychischen Belastungen durchzuführen.

Zu Beginn…

Zunächst erkundeten wir gemeinsam in einem repräsentativen Kreis Personenkreis, was die aktuellen Herausforderungen und Wünsche zu den Verbesserungen in der Organisation waren. Wenn man die heißen Themen klar hat, auf die man Antworten haben möchte, lichtet sich der Dschungel.

Warum dieser Austausch zu Beginn? Viele verschiedene Fragebögen mit ebenso verschiedenen thematischen Schwerpunkte macht die Auswahl schwierig. Wir benötigten also zunächst die Anforderungen an den Fragebogen. In diesem Fall ist uns klar geworden, dass der Fragebogen wissenschaftlich fundiert sein sollte und über Vergleichsgruppen verfügen sollte, zum anderen sollte das Thema Remote Work und Führung abgedeckt sein.

Im Zentrum standen also psychosoziale Belastungen und Ressourcen und so nahmen wir nach einer fokussierten Recherche den COPSOQ-Fragebogen (Copenhagen Psychosocial Questionnaire) in die nähere Auswahl.

Die Wahl des Fragebogens

Wir haben geprüft, ob die Hauptanforderungen bei dem Fragebogen erfüllt sind. Zunächst haben wir geprüft, was der Fragebogen „kann“. Konkret: Ist er wissenschaftlich fundiert? Und: Können wir mit Vergleichsgruppen arbeiten?

Was macht eine wissenschaftliche Fundierung aus? Wofür braucht man Vergleichsgruppen?

Ein Test ist dann wissenschaftlich fundiert, wenn er eine „gewisse Qualität“ hat. In der Psychologie ist die Messlatte für die Testentwicklung hoch angesetzt. Wissenschaftliche Tests müssen drei Gütekriterien erfüllen und mit Daten belegen können: Reliabilität (Wie genau misst der Fragebogen?), Validität (Wie aussagekräftig sind die Ergebnisse?) und Objektivität (Sind die Ergebnisse unabhängig vom Hintergrund des Anwenders interpretierbar?).

Mit Vergleichsgruppen (Normwerten) zu arbeiten bedeutet im Fall des COPSOQ, dass er im europäischen Raum schon tausendfach angewandt wurde und die Ergebnisse in einen Datenpool eingehen. Dies bietet den Vorteil, dass man sich als Unternehmen auch zu passenden Branchenwerten in Vergleich setzen kann. Man erhält letztendlich die eigenen Werte, den Vergleichswert der gewählten Branchen und die gemittelten COPSOQ-Werte als Vergleich.

Schließlich gibt der Fragebogen Auskünfte über den Gesundheitszustand der Beschäftigten, wie z.B. Burn-Out-Symptome und Zufriedenheit und Motivation. Ein Zusatzmodul zu Remote Work war ebenso integriert. Also hat alles gepasst – es konnte mit der Feinplanung losgehen!

Aufsetzen einer Gefährdungsbeurteilung – was hat sich unserer Erfahrung nach bewährt?

Unterschiedliche Interessensgruppen und Funktionen in einem Unternehmen, die mit der Gefährdungsbeurteilung zu tun haben, sollten bei der Planung dabei sein. Es geht nicht ohne Vertreter:innen des Managements, die dafür auch rechtlich in der Verantwortung sind. Es geht aber auch nicht ohne die betriebliche Interessenvertretung. Durch deren Mitspracherechte sollten sie die Gelegenheit haben, schon in der Planungsphase einer Gefährdungsbeurteilung mitzuwirken. Sinnvoll ist auch die Einbeziehung von Funktionsstellen wie dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement, dem Arbeitsschutz, dem Personalmanagement. Am Ende entstehen womöglich Maßnahmen, die sich nicht alleine auf Team- oder Abteilungsebene lösen lassen. Dann müssen letztendlich auch weitere Unternehmensfunktionen einbezogen werden. Natürlich gibt es dann auch Interessensgegensätze, aber die gehören auf den Tisch. Und wir sind dafür da, von Beginn an eine gute Arbeitsatmosphäre herzustellen.

Unterschiedliche Interessensgruppen und Funktionen in einem Unternehmen, die mit der Gefährdungsbeurteilung zu tun haben, sollten bei der Planung dabei sein.

Was brachten die Ergebnisse für einen Nutzen?

Eine Gefährdungsbeurteilung ist auch immer ein Führungsinstrument: Man hat die Möglichkeit, die Ergebnisse den einzelnen Führungskräften in die Hand zu geben. Die bekommen eine Rückmeldung darüber, was denn bei Ihnen im Team los ist. Und dann können sie im Rahmen Ihrer Führungsaufgabe darüber sprechen, was gut läuft und was vielleicht noch angepackt werden muss. In unserem Fall konnte klar zwischen dem Belastungsgrad der Abteilungen differenziert werden. Für die hoch belasteten Abteilungen konnten die Führungskräfte zielgerichtete Interventionen anbieten, z.B. Workshops zu Stressmanagement oder abendliche Treffen, bei denen der Arbeitgeber die Getränke zahlte, um den informellen Austausch innerhalb des Teams anzuregen.

Monika Förtschbeck
ist Psychologin und Beraterin für gesundheitsorientierte Organisationsentwicklung. Es ist ihre Herzensangelegenheit Organisationen dabei zu begleiten, ein Ort zu sein, in dem sich die Menschen mit ihren Potenzialen einbringen können.

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